Hinweise zur alternativen Ernährung                           ©  kinderpraxis-juelich  (Nov-04)

    Unser Kinder- und Jugendarzt Dr. Rudolf Weitz gibt Ihnen hier Hinweise zur alternativen Ernährung im Kindesalter:

Alternative Ernährungsformen sind beliebt, eine immer größere Zahl von Menschen ernährt sich ohne Fleisch. Eine ovo-lakto-vegetabile Ernährung, bei der auf genügend Zufuhr von Protein, Eisen, Spurenelementen, Kalzium, Jod und Vitamin B12 geachtet wird, ist auch im Kindes- und Jugendalter problemlos durchführbar. Dies erfordert jedoch eine regelmäßige Beratung und Kontrolle durch den erfahrenen Kinderarzt oder Diätassistenten.

Bei schlechter Aufklärung und nicht korrekt durchgeführter Ernährung können erhebliche doch Mangelzustände auftreten. Da alternative Ansichten oft auch in anderen Bereichen der Lebensführung bevorzugt werden, ist besonders auf ausreichenden Impfschutz zu achten. Zusätzlich sollte bei Jugendlichen geprüft werden, ob eine neu gewählte Ernährungsformen nicht möglicherweise Ausdruck einer sich entwickelnden oder bereits manifesten Eßstörung sind.

Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, daß bei Kindern von Müttern, die sich während der Schwangerschaft und Stillzeit streng vegetarisch ernährt haben und bei Kindern, die selbst streng vegetarisch oder makrobiotisch ernährt werden, die Versorgung des Organismus mit Eisen, Jod, Aminosäuren, Kalzium und Vitamin B12 nicht immer gesichert ist.

Eisen (und andere Spurenelemente):

Nicht an Häm gebundenes pflanzliches Eisen wird nur zu circa 10 % vom Darm aufgenommen. Zusätzlich hemmen Phytate in vegetarischer sojareicher Kost durch Komplexbildung die Eisenresorption. Ein dadurch entstandener Eisenmangel und die konsekutive mikrozytäre hypochrome Anämie können in der Regel nur durch zusätzliche Gabe eisenhaltiger Präparate beseitigt werden. Der Zusatz von Vitamin C zu eisenhaltiger Nahrung reicht alleine meistens nicht aus.

Phytate bilden ebenfalls Komplexe mit anderen Spurenelementen wie z. B. Kupfer oder Zink. Wenn sich bei Kindern unter reiner Sojaernährung sehr trockene, rissige Haut oder stumpfes Haar zeigen, muß an einen Mangel von Spurenelementen gedacht werden.

 

Jod

Viele Kinder in Deutschland haben auch bei normaler Ernährung einen latenten Jodmangel. Auch die Anreicherung der Nahrung mit Jodsalz reicht in der Regel zur Deckung des Jodbedarfs nicht aus. Bei streng vegetarischer Ernährung sind bereits mehrere Fälle hypothyreoter Jodmangelstrumen beschrieben worden. Eine Jodsubstitution von 100 ug Jod pro Tag ist daher sinnvoll.

 

Protein

Aus mit der Nahrung zugeführtem Eiweiß werden alle wichtigen körpereigenen Proteine aufgebaut. Die Aminosäurezusammensetzung der Nahrungsproteine ist dabei kritisch. Pflanzenproteine haben - verglichen mit tierischen Proteinen - relativ zu wenig Stickstoff in Form von essentiellen Aminosäuren, außerdem fehlen ihnen einige Aminosäuren ganz.

Praktisch bedeutet das für Menschen, die sich ovo-lakto-vegetabil ernähren, daß sie möglichst verschiedene Proteinquellen im Ernährungsplan miteinander kombinieren sollten, z. B. Käse mit Brot oder Kartoffeln mit Ei.

Hülsenfrüchte und Getreide enthalten zwar viel Protein, dieses ist jedoch verglichen mit dem Eiweiß aus Milchprodukten schlechter verdaulich. Daher sollten sie mit anderen Proteinquellen ( z. B. Müsli) kombiniert werden. Eine ovo-lakto-vegetabile Kost läßt aber in der Regel keinen Proteinmangel entstehen.

 

Kalzium

Die Hauptquelle für Kalzium ist im 1. Lebensjahr die Milch. Bei lakto-vegetabiler Ernährung bestehen keine Probleme. Vitamin D sollte von vegetarisch ernährten Säuglingen in gleicher Dosierung wie bei nicht-vegetarischer Ernährung eingenommen werden (400 bis 500 lE/d). Bei strengen Vegetariern, die keine Milchprodukte zulassen, kann es jedoch zu Kalzium-Mangelzuständen kommen. Anil et al. beschrieben vor einigen Jahren einen 14 Wochen alten Säugling, der mit einer lebensbedrohlichen, hypokalzämischen, hyperphosphatämischen Tetanie und Atemstillstand auf die Intensivstation aufgenommen werden mußte.

 

Vitamin B12:

Vitamin B12 kommt in besonders hohen Konzentrationen in Leber und Rindfleisch vor, in niedriger Konzentration ist es jedoch auch in Milch und Eiern vorhanden. Daher wurde bis vor einiger Zeit davon ausgegangen, daß eine ovo-lakto-vegetabile Ernährung im Gegensatz zu streng vegetarischer Ernährung keiner Vitamin-B 12-Substitution bedürfe. Aus einer erst 1999 in Australien publizierten Studie geht jedoch hervor, daß die Vitamin-B12-Konzentrationen bei Vegetariern signifikant niedriger waren als die der nicht vegetarischen Kontrollpersonen. Daraus ergibt sich, daß nicht nur strengen Veganern, sondern auch Ovo-Lakto-Vegetariern eine Vitamin-B12-Substitution empfohlen werden sollte.

Die praktische Bedeutung wird am Fall eines 14 Monate alten Jungen einer seit 5 Jahren streng vegan lebenden Mutter deutlich, der zunächst ausschließlich gestillt wurde und später nur Obst und Gemüse zusätzlich erhielt. Nach dem 6. Lebensmonat fielen ein deutlicher Entwicklungsrückstand, eine muskuläre Hypotonie und gesteigerte Reflexe sowie mangelnde Reaktionen auf Licht und Geräusche auf. Die Fundoskopie zeigte eine partielle Optikusatrophie, das EEG eine allgemeine Verlangsamung, das CT eine deutliche Hirnatrophie. Die Vitamin-B12-Spiegel waren bei Mutter und Kind deutlich erniedrigt, das Kind hatte zusätzlich eine megaloblastäre Anämie. Die neurologischen Symptome besserten sich zwar rasch unter einer Vitamin-B 12-Therapie, andererseits hatte das Kind auch viele Monate später noch deutliche Entwicklungsdefizite.

 

Vegetarier im Jugendalter

Bei der Betreuung jugendlicher Vegetarier sollte unbedingt auch daran gedacht werden, daß die Entscheidung, sich alternativen Diäten zuzuwenden, auch im Kontext mit den in dieser Altersgruppe extrem häufigen Eßstörungen stehen kann. Aus Erhebungen an jugendlichen Vegetariern weiß man daß sie zwar durchschnittlich mehr Gemüse und Obst und weniger Süßigkeiten oder salzige Snacks zu sich nehmen als ihre nicht-vegetarischen Altersgenossen, sie leiden jedoch signifikant häufiger an Eßstörungen. Diese schließen häufiges Durchführen hypokalorischer Gewichts-Reduktions-Diäten, Laxantienabusus und Bulimie ein.

 

Zusammenfassung

•  Ovo-lakto-vegetabile Ernährung bei Säuglingen in den ersten Lebensmonaten ist möglich, makrobiotische Ernährung ist abzulehnen.

•  Durch Ernährung mit Muttermilch von strengen Vegetarierinnen oder Sojamilch kann ein Mangel an Vitamin D, Kalzium, Eisen, Jod, Spurenelementen, Protein oder Vitamin B12 auftreten; diese Substanzen müssen gegebenenfalls substituiert werden.

•  Bei Säuglingen von Müttern, die sich alternativ ernähren, muß daran gedacht werden, daß auch andere Bereiche möglicherweise „alternativ" gelebt werden. Insbesondere muß eine ausführliche Impfberatung stattfinden.

•  Kinder und Jugendliche können sich unter Berücksichtigung der gegebenenfalls zu substituierenden Substanzen ohne weiteres vegetarisch, vor allem ovo-lakto-vegetabil ernähren; diese Ernährungsform bietet sogar Vorteile. In der Regel ist der Anteil an Obst, Gemüse und Ballaststoffen deutlich höher.

• Wenn Jugendliche sich plötzlich alternativen Ernährungsformen zuwenden, muß daran gedacht werden, daß dies Zeichen einer sich entwickelnden oder bereits manifesten Eßstörung sein kann.

 

interessante Links:

Nestlé: Produktinfos für Vegetarier

 

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zuletzt aktualisiert am 24.11.2004 (SK)